web 2.0

Herbert braucht Ferien!

Herbert braucht Ferien!








Nicht ganz überraschend, aber dennoch plötzlich. Da war er wieder. Der Lockdown. Von wegen, neues Schuljahr, neues Glück. Weit gefehlt. Und dabei fing alles so gut an. Ich konnte ihn kaum erwarten, den 1. Schultag nach den Sommerferien, wenn diese kleinen und großen Menschen in meine Räume einströmen, mit ihrem Gekicher, ihrem Lachen, ihren plötzlich tiefen Stimmen. Und auch Herbert, der alte Knochenjochen aus dem Bioraum, fieberte diesem Tag entgegen. Wie haben wir sie vermisst, die Schülerinnen und Schüler und die Mitarbeiter. Doch irgendwie ist alles anders. Und auch wieder nicht. Vertraut mittlerweile der Geruch von Desinfektionsmittel. Der Anblick von Masken, trotz abwechslungsreicher Darbietung: blaue Einwegmasken, weiße FFP2-Masken, Masken mit aufgemaltem Smiley, mit lustigem oder gruseligem Aufdruck, Masken mit Statement, kaputte Masken und leider auch fehlende Masken.

Und Herbert. Der trägt seine vorbildlich. Wird nun mit Worten wie Stufenplan und Ampelsystem konfrontiert. Spannend. Zu spannend vielleicht für einige. Denn manch einen Mitarbeiter bekommt er gar nicht mehr zu Gesicht. Oder irgendwie verändert. Das kommt davon wenn man den ersten Lockdown für die intensive Familienplanung nutzte. Erfolgreich. Und die anderen. Die gingen fast klanglos in den wohlverdienten Ruhestand. Und dann gibt es noch die „lost teacher“, die einfach nur als vermisst gelten. Das Lehrerzimmer hat seinen Zuwachs übrigens schon: männlich, dynamisch, motiviert.

Was ist sonst noch neu? Es gibt feste Klassen, feste Räume und zunehmend dauergestresste Lehrer, die Karten, Modelle und Bücher durch die Flure tragen. In Laufrichtung versteht sich, um nicht das Hygienekonzept zu torpedieren. Im Georaum findet der Chemieunterricht statt, im Bioraum Sozialkunde und der Lehrerparkplatz wurde zum zweiten Pausenhof umfunktioniert. Why not? Wenn’s hilft. Auch Herberts Schüler-Kumpels sehen so all meine Etagen und Räume. Cool! Horizont erweitert!

In meinen Räumen liegen stapelweise Bücher. Zum Lernen? Auch. Meist dienen sie vor allem als Unterlage für die Beamer der Lehrer. Private Beamer. Sie folgen ihnen wie Schatten durch die Flure, von Raum zu Raum. Und dabei könnte alles so einfach sein. Die Digitalisierung lässt grüßen. Oder eben nicht. Was bleibt, sind beeindruckend komische Szenen, die ich da zu sehen bekomme. Tagein, tagaus.

Und unten gibt es auch was Neues. In einer Hau-Ruck-Aktion wurden meine alten Toiletten wieder begehbar gemacht. Eine echte Bereicherung für das Untergeschoss. Die dort eingelagerten Möbel verteilte der Hausmeister auf andere Räume. Tja. Des einen Freud, des anderen Leid.

Das neue Schuljahr schenkt mir immer auch neue Schülerinnen und Schüler. Diesmal sind die Fünftklässler zwei wilde Haufen. Und die bevölkern seit diesem Jahr die untere Etage. Und natürlich auch meinen Schulhof. Da ihre Räume aus Hygienekonzeptgründen direkt auf den Schulhof führen, wird jede 5 Minutenpause kurzerhand zur Hofpause erklärt. Herbert hebt sich bei dem Lärm und Trubel schon langsam die Schädeldecke. Und auch ich leide. Besonders meine Türen.

Ebenfalls neue Mitbewohner hat jetzt auch Herbert. Es ist die Klasse 9b.  Ganz nett die Kids, aber etwas zu wyld. Nur gut, dass Herbert schon tot ist. So hat die ganze Selfie-Aktion ihn nur den Arm gekostet und nicht das Leben. Wenn das seine langjährige Mitbewohnerin und Freundin wüsste. Trotzdem nicht gut. Herbert ist gestresst. Und auch die anderen sehen nach den Ferien nicht wirklich frisch aus. Nichts ist geblieben, von der Entschleunigung des ersten Lockdowns. Alles läuft schnell. Ich möchte fast sagen, alles überrollt mich. Die Klasse 6b macht eine Last-Minute-Klassenfahrt. Man kann ja nie wissen. LKs und Klassenarbeiten werden im Akkord geschrieben. Das Praktikum fällt aus. Viele Schüler fehlen immer häufiger und Lehrer auch. Was ist nur los? Was zieht da ein in meine Räume?

Herbert beobachtet Monologe an der Tafel: „Kein Bock!“, „Brauchen wird das?“, „Muss das sein, können wir das nicht zu Hause machen?“, „Das ist unfair, die anderen haben keine 6 Stunden!“. Und dann, oh Schreck, „Wann ist denn endlich wieder Homeschooling?“. Ist das noch meine Schule?  Motivationstief 2.0? Die Ratlosigkeit in den Augen der Lehrer bleibt mir nicht verborgen. Und auch die Eltern wissen nicht weiter. Da tendiert selbst Herbert zur Null-Bock-Einstellung. Mir kommt auch langsam das letzte Quäntchen guter Laune abhanden. Immer wieder beschmutzen irgendwelche Idioten meine Toiletten. Zu viel Langweile durch zu viel „kein Bock“?!

Dann auf einmal steigende Corona-Zahlen.  Es muss gehandelt werden. Jetzt. Herbert spitzt die Ohren. Stufe Gelb! Am Wochenende wird getagt und beraten. Flugs wird die Maskenpflicht für alle im Unterricht beschlossen. Dann wieder nicht. Dann doch, aber nicht für die Klassen 5 und 6, dafür Klassenteilung ab Klasse7 und Wechselmodell. Verwirrend. Was bedeutet das alles? Keine Elternabende,  keine Ausflüge, keine Weihnachtsfeiern, womöglich kein Plätzchenduft in meinem Hause? Kein Spaß mehr? Demotivation pur.

Die „Kleinen“ werden jetzt nur noch von festem Lehrpersonal unterrichtet. Naja, das kann durchaus Vorteile haben. Zwei Wochen Projektunterricht. Es gibt Schlimmeres. Wortarten aus Geschichtstexten heraussuchen, die Geschwindigkeit von Fischen in festen, flüssigen und gasförmigen Stoffen berechnen und auf dem Globus zweisprachig die Länder suchen, ehe man mit selbigem Basketball spielt. Und die „Großen“? Die werden zum Teil wieder mit der Schulcloud unterrichtet. Wenn sie läuft und einen rein lässt. Von der hat Herbert schon viel gehört. Funktioniert scheinbar genau so gut, wie Herberts rechter Arm.  Es könnte aber auch durchaus an den Geräten oder den Leitungen in meinen Wänden liegen.

„Kein Bock“ breitet sich weiter aus. Eine weitere Epidemie. Nun schließen sich ebenso sämtliche Drucker und Kopierer an, die Kaffeemaschine im Lehrerzimmer will auch nicht mehr. Lehrer ohne Kaffee? Gibt’s nicht, geht nicht. Irgendwie sind alle ferienreif. Auch Herbert findet es nicht mehr cool. Seit Mittwoch dann den Lockdown 2.0. Verreisen kann Herbert über die Feiertage ja eh nicht. Aber entschleunigen, nach all dem Stress der letzten Zeit. Einfach nur die Stille genießen, im Hier und Jetzt.


Liebe Schülerinnen und Schüler, liebe Eltern, liebe Lehrerinnen und Lehrer, liebe Mitarbeiter,

ich wünsche Ihnen und euch, trotz der momentanen Lage, eine schöne und ruhige Weihnachtszeit, ein gesegnetes Fest und einen guten Rutsch in das neue (hoffentlich bessere) Jahr 2021.
Machen wir es wie Herbert. Genießen wir die Stille und entschleunigen wir, um Kraft zu schöpfen für ein wirklich neues Jahr, das auch ein Aufbruch in eine neue Zeit für uns alle ist. Nichts wird sein, wie es war, auch nicht in der Schule.

Bleibt alle schön gesund! – Think positive stay negative!
Ich freue mich schon jetzt auf ein Wiedersehen im neuen Jahr!


Ihre und eure Regelschule Wutha-Farnroda


EE + PS

Komentare sind nicht erlaubt.