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Herbert allein zu Hause


Er kam ganz schnell, nahezu unerwartet, quasi über Nacht.  Der Lockdown im März.  Ein Wochenende reichte und ich wurde von einer Bildungsanstalt zu einer systemirrelevanten Institution erklärt. Bude zu – Schule tot. Zwar wurden am Montag meine Tore nochmal geöffnet, doch nur wenige kamen, um sich in meinen Räumen Infos zur Pandemie abzuholen, Aufgaben zu erhalten und sich über die ungewissen Zustände auszutauschen. Betretenes Schweigen, Unsicherheit, kein Plan. Das spürte ich deutlich.

Die meisten Lehrer waren in Hektik: Hygienekonzepte, Homeschooling-Aufgaben, Belehrungen aussprechen, kopieren. Und all die Fragen! Für wie lange? Bis zu den Osterferien? Geht’s danach wieder weiter? Was wird den Klassen gesagt?

Etliche Schüler freuten sich über die zusätzlichen Ferien. Wären da nur nicht die Aufgaben. Diese waren zum Teil schnell zusammengeschustert. Entweder zu wenig oder eben zu viel. Wie auch sonst. Schließlich traf die Schulschließung uns alle wie der Blitz. Die meisten Lehrer planten bis zu den Osterferien. Danach hofften wir alle auf Entspannung. Gar Normalität?

Ab Dienstag war ich zu. Dicht. Geschlossen für Schüler, Eltern, eigentlich für alle. Auch Herbert stand nun allein im Bioraum. Kein Händeschütteln, kein cooles Cappy, keine Selfies. Armer Herbert. Tatsächlich verirrten sich vereinzelt dann doch ein paar Besucher, gingen tageweise ihrer Arbeit nach, soweit das eben möglich war.

Die Schulleitung kämpfte sich durch die Flut der Mails, der täglich neu eintreffenden Verordnungen und Anweisungen. Das Telefon klingelte ununterbrochen und ständig kam eine neue E-Mail rein. Kein Land in Sicht. Die ESF-Frauen und Sozialarbeiterinnen nutzten die Zeit ohne Schüler, um in ihren Räumen klar Schiff zu machen und mein Obergeschoss zu verschönern. Auch einige andere Kollegen waren nicht untätig. Sie verpassten einigen meiner Räume neue Anstriche. Das tat mir auch mal gut. Trotzdem. Was ist eine Schule ohne Schüler?

Die Alternative zu mir hieß Heimunterricht oder ganz modern ausgedrückt, „Homeschooling“. Das Zauberwort der Pandemie. Das muss ja wohl ein richtiger Spaß gewesen sein. Ich habe von Medien ja nur wenig Ahnung. Meine Ausstattung geht schon auf die 20 Jahre zu und das eher mäßig und dürftig. Offenbar war ich damit nicht allein: Fehlende Drucker, kein WLAN und zu wenige PCs schienen auch bei den Schülern zu Hause ein Problem darzustellen. Die Lernplattform „Schulcloud“ sollte zur Erleichterung der ganzen Arbeit beitragen. Und zur besseren Verständigung. Das hat sie in einigen Fällen auch. Dennoch trabten nach den Osterferien immer wieder Schüler mit Maske und Mindestabstand in meinen Computerraum, da sie Hilfe brauchten. Beim Einloggen in die Schulcloud.

Und dann waren sie wieder da! Meine Schüler! Ich habe mich so gefreut, als die ersten Kleingruppen wieder meine Räume bevölkerten. Aber bei vielen war die Luft raus und sie taten sich schwer, mit dem erneuten Schulstart. Als sich Abschlussklassen und einzelne Schülergrüppchen in meinen heiligen Hallen tummelten, wurde schnell deutlich, dass Unterricht zu Hause nur die allerletzte Lösung sein kann. Es geht doch nichts über Präsenzunterricht mit Lehrern und Mitschülern. Oldschool eben.

Langsam und in abwechselnden Konstellationen wurde Unterricht in der Schule wieder möglich. Mit einem neuen Hygienekonzept, einer dermaßen knappen Ausstattung an Masken und Hygieneartikeln und einer kleinen Portion Skepsis begann ein anstrengender und verwirrender Wechsel aus Präsenzunterricht und Homeschooling. Kindergeschrei auf dem Schulhof, Gemecker im Kopierraum, Stress mit dem Datenschutz, Papierflut, Angstschweiß bei den Prüfungen. Irgendwie habe ich das sehr vermisst. Auch wenn die Zeugnisausgabe ungewohnterweise mit Durchzug und Abstand stattfinden musste. Nach und nach zog wieder Normalität in meine Räume ein.

Endlich wieder sytsemrelevant!

Ein aufrichtiges und herzliches Dankeschön an alle Schüler, Eltern, Großeltern, Angestellte und Lehrer, die in den letzten Monaten dazu beigetragen haben, dass unsere Kinder in den vergangenen Monaten nicht ganz den Bezug zu Schule, Wissen und Gemeinschaft verloren haben. Schule ist so viel mehr als Präsenzunterricht. Bewusst wird uns allen dies erst, wenn Schule nicht mehr so stattfinden kann, wie gewohnt. Ich für meinen Teil freue mich auf das neue Schuljahr. Ich weiß, dass wir alle unser Bestmögliches geben werden, um dieses gut und erfolgreich zu bestreiten.

Eure und Ihre Regelschule Wutha-Farnroda

Komentare sind nicht erlaubt.